Beschäftigung, Soziales und Integration

Aktuelles 11/06/2010

Familien vor Armut schützen.

Welche Rolle spielen Sozialschutzsysteme bei der Verhütung und Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung von Familien in Europa? Auf einem vor kurzem von COFACE, der Konföderation von Familienorganisationen in Europa organisierten Seminar wurde im Kontext von „2010 - Europäisches Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung“ und der aktuellen Vorschläge für die Strategie Europa2020 über diese Frage nachgedacht. Das Seminar mit dem Titel „Die Rolle des Sozialschutzes im Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung: Welches Sicherheitsnetz für Familien?“ fand am 26. März 2010 in Brüssel statt.

Es begann mit zwei komplementären Vorträgen über den historischen Hintergrund und die europäische Landschaft der Sozialschutzsysteme und armutsgefährdete Familien. Gabrielle Clotuche, Beraterin des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB), wies darauf hin, dass die Sozialschutzsysteme in den verschiedenen Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen historischen, kulturellen und philosophischen Kontexten (in verschiedenem Maße auf Konzepten wie „Risiko“, „Ungleichheit“ oder „Bedürftigkeit“ basierend) hervorgegangen sind. Sie betonte auch die langfristige Herausforderung einer alternden Bevölkerung und die kurzfristige Herausforderung der steigenden Arbeitslosigkeit und der Arbeitsplatzunsicherheit aufgrund der Wirtschaftskrise. 

Bea Cantillon, Soziologieprofessorin an der Universität Antwerpen, ging auf die Fragen „Was wissen wir?“ und „Was können wir tun?“ ein und sprach über die Verbindungen zwischen Sozialschutzsystemen und dem Kampf gegen Familienarmut. Sie erörterte die unterschiedlichen Definitionen der „sozialen Ausgrenzung“ und die dazu beitragenden Faktoren, wie etwa ein niedriges Einkommen als solches, die ungleiche Einkommensverteilung oder die Arbeitslosenquoten. 

Professor Cantillon machte darauf aufmerksam, dass die Situationen in den einzelnen europäischen Ländern sowohl im Hinblick auf Armut (60 % des nationalen Durchschnittseinkommens) als auch auf arbeitslose Haushalte sehr verschieden sind. Daher können wir uns in den Ländern, die diesbezüglich bessere Leistungen aufzuweisen haben, nach bewährten Verfahren umschauen. 

Insbesondere legte sie dar, dass es – auch wenn nur ein schwacher Zusammenhang zwischen Sozialschutzniveaus und Armutsquoten in den EU-Mitgliedstaaten besteht – einen starken Zusammenhang zwischen der sinkenden Wahrscheinlichkeit, dass Familien einem Armutsrisiko ausgesetzt sind, und höheren Ausgaben für Kinder- und Familienbeihilfen gibt. Des Weiteren gibt es in Europa, von einigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen, einen Zusammenhang zwischen Arbeitslosenquoten und Armut. Sie schloss mit der Feststellung, dass wirksame Maßnahmen zur Armutsbekämpfung erhebliche Kosten mit sich bringen und an Wachstum, Arbeitsplätzen und sozialer Umverteilung keine Abstriche vorgenommen werden dürfen, wenn die Armut in der EU wirklich bekämpft werden soll. 

Während eines politischen Rundtischgesprächs am Nachmittag stellte Antonia Carparelli, Leiterin des Referats „Eingliederung, sozialpolitische Aspekte von Migration, Straffung sozialpolitischer Maßnahmen“ in der GD Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit die neuen Vorschläge der Europäischen Kommission für Europa2020 vor. Diese für das kommende Jahrzehnt bestimmte Strategie zur Erholung von der Wirtschaftskrise beinhaltet drei Prioritäten, darunter „integratives Wachstum“, fünf Kernziele und sieben Leitinitiativen. 

Aufgrund der Wirtschaftskrise werden die Arbeitslosenquoten in der EU 2010 voraussichtlich auf über 10,5 % steigen, was wiederum dazu führen könnte, dass sich die durchschnittlichen Sozialschutzausgaben der Mitgliedstaaten von derzeit 27,5 % auf mehr als 30 % des BIP erhöhen. Auch die Armutsraten sind 2007-2008 von 16 % auf 17 % gestiegen, und diese Zahl dürfte 2009-2010 weiter steigen. 

Sozialausgaben im weiten Sinne – Sozialschutz, Bildung und Gesundheit – machen ungefähr 70% der öffentlichen Ausgaben in der EU aus (40% für Sozialschutzleistungen, Gesundheits- und Bildungsausgaben sind ausgenommen). Doch da auch die Regierungsschulden und Defizite steigen, werden die Sozialausgaben unter starken Druck geraten, weshalb es umso dringlicher ist, eine Agenda zur Reformierung und Modernisierung des Sozialschutzes aufzustellen. 

Frau Carparelli erklärte, dass die Priorität „Integratives Wachstum“ der Strategie Europa2020 durch zwei der Ziele (in Bezug auf Beschäftigung und auf Armutsverringerung) und zwei der Leitinitiativen (Agenda für neue Kompetenzen und neue Arbeitsplätze sowie eine EU-Plattform gegen Armut und Ausgrenzung) unterstützt werden soll. 

Muriel Rabau, Beraterin des belgischen Föderalen Öffentlichen Dienstes Sozialschutz und Mitglied des Ausschusses für Sozialschutz, sagte im Übrigen, der belgische Ratsvorsitz der Europäischen Union beabsichtige, im November 2010 eine Konferenz zum Thema Aktive Eingliederung zu organisieren. 

Annemie Drieskens, Vorsitzende der COFACE-Arbeitsgruppe Familie und Sozialpolitik, unterstrich in ihrer Zusammenfassung einige der Ergebnisse der Seminar-Workshops über „Sozialschutz und den Kampf gegen Familienarmut“ und „Fragen für die Zukunft der Sozialschutzsysteme in der Europäischen Union“, einschließlich der Feststellung: „Mehr Gleichheit führt zu mehr Solidarität“ in der Gesellschaft. 

COFACE wird auf der Grundlage der Diskussionen dieses Tages Vorschläge und Empfehlungen an die Kommission ausarbeiten.

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