Beschäftigung, Soziales und Integration

Aktuelles 06/07/2023

Kommissionsbericht stellt fest, dass weiterhin ein Fach- und Arbeitskräftemangel besteht, und zeigt Wege zur Verbesserung der Situation auf

Die Europäische Kommission hat den Jahresbericht 2023 zur Beschäftigung und zur sozialen Lage in Europa (ESDE) veröffentlicht.

Der Jahresbericht 2023 der Kommission zur Beschäftigung und zur sozialen Lage in Europa (ESDE) macht deutlich, dass sich die Arbeitsmärkte in der EU im Jahr 2022 als ausgesprochen widerstandsfähig erwiesen haben – trotz der Auswirkungen des Angriffs Russlands auf die Ukraine, der in der zweiten Jahreshälfte zu einem Konjunkturrückgang geführt hat. Die EU-Wirtschaft wuchs 2022 real um 3,5 %. Die Beschäftigungsquote erreichte 2022 mit 74,6 % – das sind 213,7 Millionen Beschäftigte – ein Rekordhoch, und die Arbeitslosenquote lag mit 6,2 % auf einem historischen Tiefstand.

Allerdings gibt es dem Bericht zufolge nach wie vor Herausforderungen. Beispielsweise sind bestimmte Gruppen wie Frauen oder Menschen mit Behinderungen nicht in ausreichendem Maße auf dem Arbeitsmarkt vertreten. Die Jugendarbeitslosigkeit ging zwar von 16,7 % im Jahr 2021 auf 14,5 % im Jahr 2022 zurück, sie bleibt aber nach wie vor ein großes Problem. Zudem kämpfen viele Unternehmen mit einem Mangel an Arbeitskräften, und sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer müssen sich an neue Kompetenzanforderungen aufgrund des grünen und des digitalen Wandels anpassen.

Wichtigste Erkenntnisse zum Fach- und Arbeitskräftemangel

Vor dem Hintergrund des Europäischen Jahres der Kompetenzen beleuchtet der ESDE-Bericht insbesondere die Themen Arbeitskräftemangel und Qualifikationsdefizite, und es werden Maßnahmen zur Behebung dieser Probleme dargelegt. Die wichtigsten Ergebnisse des Berichts für das Jahr 2022:

  • In verschiedenen Branchen und Berufen besteht auf allen Qualifikationsniveaus ein Arbeitskräftemangel, der sich voraussichtlich weiter verschärfen wird. Dieser Arbeitskräftemangel dürfte sowohl in hoch qualifizierten Berufen als auch in Berufen mit niedrigen Qualifikationsanforderungen fortbestehen; er ist zurückzuführen auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze und die notwendige Ersetzung von Arbeitskräften, die in den Ruhestand gehen. Besonders stark betroffen waren 2022 folgende Branchen und Berufsfelder: Baugewerbe, Gesundheitswesen und MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik), insbesondere Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT). Dieser Mangel dürfte sich mit dem prognostizierten Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter von 265 Millionen im Jahr 2022 auf 258 Millionen im Jahr 2030 noch weiter verstärken.
  • Zugleich tragen unterschiedliche strukturelle Triebkräfte in verschiedenen Branchen und Berufsfeldern zum Arbeitskräftemangel bei. In Bereichen wie Medizin, Krankenpflege, Betreuung und im Transportwesen haben die Arbeitgeber aufgrund der harten Arbeitsbedingungen oder des komplexen Personalmanagements Schwierigkeiten, qualifizierte Arbeitskräfte zu halten und neues Personal zu gewinnen. In anderen Berufsfeldern, z. B. im MINT-Bereich, ist der Mangel an Arbeitskräften mit spezifischen Fachkompetenzen ein wichtiger Faktor.
  • In manchen Berufen wird der Arbeitskräftemangel möglicherweise auch durch einen Wandel der Qualifikationsanforderungen und des Beschäftigungsbedarfs aufgrund des notwendigen grünen Wandels verschärft. In einigen Branchen und Berufsfeldern, in denen bereits ein Arbeitskräftemangel herrscht (z. B. Verkehr und Lagerung, Bauwesen, Elektrotechnik und Elektronik) oder in denen ein solcher Mangel zu erwarten ist (z. B. Netto-Null-Technologien, Wasserversorgung, Abfallwirtschaft und bestimmte naturwissenschaftliche und technische Berufe), dürfte die Beschäftigung weiter wachsen.
  • Im Zusammenhang mit dem grünen Wandel wird der Bedarf an Investitionen in Umschulung und Weiterbildung zur Herstellung strategisch relevanter Netto-Null-Technologien bis 2030 auf 1,7 bis 4,1 Mrd. EUR geschätzt.
  • Der Bericht stellt fest, dass der digitale Wandel zwar zu einem anhaltenden Arbeitskräftemangel bei IKT-Fachkräften beiträgt, aber offenbar kein wesentlicher Faktor für Engpässe in anderen Berufen ist.
  • Die niedrige Erwerbsbeteiligung von Frauen, Geringqualifizierten, Personen mit Migrationshintergrund sowie älteren und jungen Menschen trägt ebenfalls zum Arbeitskräftemangel bei. Die meisten Berufe, in denen ein Arbeitskräftemangel besteht, werden entweder stark von Männern oder stark von Frauen dominiert: In 86 % der Berufe mit Arbeitskräftemangel ist das Geschlechterverhältnis nicht ausgewogen. Dies ist auch auf die Geschlechtersegregation in den jeweiligen Ausbildungsgängen für bestimmte Berufe zurückzuführen, sodass das Angebot an Arbeitskräften, mit denen freie Stellen besetzen werden können, begrenzt ist.

Maßnahmen zur Behebung des anhaltenden Fach- und Arbeitskräftemangels

Im ESDE-Bericht 2023 wird auch beleuchtet, welche politischen Maßnahmen zur Bekämpfung des Arbeitskräftemangels und zur Überwindung von Qualifikationslücken infrage kommen. Dazu gehört Folgendes:

  • Investitionen in Programme für Erwachsenenbildung, Kompetenzentwicklung und berufliche Aus- und Weiterbildung sowie bessere Abstimmung zwischen den Arbeitsplatzanforderungen und den Bildungs-, Erfahrungs- und Kompetenzprofilen der Menschen. Zur Unterstützung der Mitgliedstaaten werden aus dem EU-Haushalt und über NextGenerationEU 64,8 Mrd. EUR für Qualifizierungsmaßnahmen bereitgestellt, etwa im Rahmen der Aufbau- und Resilienzfazilität und des Europäischen Sozialfonds Plus. Mit dem Kompetenzpakt werden Industrie, Sozialpartner und Berufsbildungsanbieter zur Bewältigung der Herausforderungen bei der Kompetenzentwicklung zusammengeführt. Bislang konnten bereits 2 Millionen Menschen von den Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen des Pakts profitieren. Es wurden 18 Kompetenzpartnerschaften ins Leben gerufen, unter anderem in Schlüsselsektoren für den grünen und den digitalen Wandel wie Elektronik, erneuerbare Energien und energieintensive Industrien.
  • Beseitigung des geschlechtsspezifischen Beschäftigungsgefälles und Förderung der Erwerbsbeteiligung von jungen und älteren Menschen, Personen mit Migrationshintergrund und Menschen mit niedrigerem Bildungsniveau, um den Arbeitskräftemangel zu beheben. Dies ist von entscheidender Bedeutung zur Erreichung der sozialpolitischen Ziele der EU für 2030 in den Bereichen Berufsbildung, Beschäftigung und Armutsbekämpfung, wofür die Mitgliedstaaten nationale Strategien umsetzen. Zudem hat die Kommission ein Paket zur Förderung der Jugendbeschäftigung vorgelegt und sich dazu verpflichtet, den Qualitätsrahmen für Praktika zu überarbeiten, um junge Menschen beim Eintritt in den Arbeitsmarkt zu unterstützen.
  • Beseitigung von Hindernissen für den Eintritt in die Erwerbstätigkeit, z. B. Bereitstellung leicht zugänglicher, erschwinglicher und hochwertiger frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung. Die Kommission hat eine europäische Strategie für Pflege und Betreuung vorgelegt, um sowohl Pflege- und Betreuungskräfte als auch Pflegebedürftige und Betreute zu unterstützen. Die Mitgliedstaaten haben zwei Empfehlungen des Rates zur Langzeitpflege und zur frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung angenommen. Die Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben regelt Mindeststandards für Vaterschafts-, Eltern- und Pflegeurlaub und legt zusätzliche Rechte fest, z. B. das Recht, flexible Arbeitsregelungen zu beantragen.
  • Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Entlohnung in bestimmten Berufen, um Arbeitskräfte zu gewinnen und zu halten. Die Mitgliedstaaten haben die EU-Richtlinie über angemessene Mindestlöhne angenommen und müssen diese nun in nationales Recht umzusetzen.
  • Verbesserung der finanziellen Anreize für die Arbeit, z. B. Überprüfung der Steuern und der Sozialleistungssysteme für Geringverdienende, sowie Förderung der aktiven Eingliederung, um die Erwerbsbeteiligung arbeitsfähiger Personen zu verbessern, beispielsweise durch inklusive allgemeine und berufliche Bildung und individuelle Unterstützung. Dies wird auch in der Empfehlung des Rates für eine angemessene Mindestsicherung zur Gewährleistung einer aktiven Inklusion hervorgehoben.
  • Förderung der gezielten Arbeitsmigration aus Drittländern, um den Mangel an Arbeitskräften mit bestimmten Qualifikationsprofilen zu verringern. Die Kommission hat als Pilotinitiative einen EU-Talentpool eingerichtet, der dazu beitragen soll, Menschen mit den richtigen Qualifikationen für offene Stellen zu finden. Die Anwerbung von Menschen aus Drittländern mit den benötigten Kompetenzen ist auch eines der Hauptziele des Europäischen Jahres der Kompetenzen. Hier wird die Kommission zudem eine Initiative zur Verbesserung der Anerkennung von Qualifikationen von Drittstaatsangehörigen vorlegen und Talentpartnerschaften mit ausgewählten Partnerländern außerhalb der EU anstoßen.
  • Verbesserung des sozialen Dialogs und Einbeziehung der Sozialpartner in die Ausbildung, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und den Ausbau von Erwachsenenbildungsangeboten. Wie von der Kommission vorgeschlagen, haben die Mitgliedstaaten eine Empfehlung des Rates zur Stärkung des sozialen Dialogs auf nationaler und europäischer Ebene angenommen.

Hintergrund

Der Jahresbericht zur Beschäftigung und zur sozialen Lage in Europa (ESDE) ist die richtungsweisende Analyse der Europäischen Kommission in Sachen Beschäftigung und Soziales. Er enthält aktuelle Wirtschaftsanalysen sowie Vorschläge für politisches Handeln.

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