Beschäftigung, Soziales und Integration

Arbeitsbedingungen - Arbeitszeitrichtlinie: Auslegungsmitteilung

Mit der Auslegungsmitteilung sollen die EU-Länder und andere Interessenträger Rechtsklarheit und Rechtssicherheit bei der Anwendung der Arbeitszeitrichtlinie erhalten und nationale Behörden, Angehörige der Rechtsberufe und Sozialpartner bei Auslegungsfragen unterstützt werden. Zu diesem Zweck werden die Bestimmungen der Richtlinie und deren Auslegung in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in einem einzigen Dokument zusammengeführt.

In den letzten 30 Jahren hat der EuGH über 80 Urteile und Entscheidungen in Bezug auf die Arbeitszeitrichtlinie erlassen und ihre Bestimmungen ausgelegt. Diese umfangreiche Rechtsprechung erschwert es den EU-Mitgliedstaaten, Sozialpartnern, Interessenträgern und interessierten Bürgerinnen und Bürgern, Inhalt und Tragweite der Bestimmungen der Richtlinie genau zu verstehen. Diese Rechtsprechung ist jedoch von zentraler Bedeutung, um eine ordnungsgemäße Umsetzung der Richtlinie zu gewährleisten und zu vermeiden, dass aufgrund von Missverständnissen oder mangelnder Kenntnis der jüngsten Entwicklungen der Rechtsprechung Probleme bei der Einhaltung der Vorschriften entstehen. Die Präzisierung des genauen Geltungsbereichs der Bestimmungen und der zulässigen Ausnahmen wird dazu beitragen, Nichteinhaltung und Missbrauch entgegenzuwirken. Somit können auch flexiblere Beschäftigungsformen sicher und korrekt erfasst werden, und der Verwaltungsaufwand verringert sich dank der abnehmenden Notwendigkeit sukzessiver Änderungen der nationalen, regionalen oder lokalen Rechtsvorschriften und etablierter Muster der Arbeitsorganisation.

Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union im Anschluss an die Annahme der Auslegungsmitteilung

Die Auslegungsmitteilung spiegelt den Stand der Rechtsprechung des EuGH vom 22. September 2022 wider. Seither wurden die Bestimmungen der Arbeitszeitrichtlinie vom EuGH in folgenden Fällen ausgelegt:

Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 2. März 2023 in der Rechtssache IH gegen MÁV-START Vasúti Személyszállító Zrt., C-477/21, ECLI:EU:C:2023:140

Sachlage: Es geht um einen Rechtsstreit zwischen einem Lokführer und seinem Arbeitgeber, einem Eisenbahnunternehmen. Der Kläger macht geltend, dass ihm über die wöchentliche Ruhezeit von 48 Stunden hinaus auch am Tag vor seiner wöchentlichen Ruhezeit eine tägliche Ruhezeit zusteht.  

Streitpunkt: Die zentrale Frage ist, ob die Ruhezeitplanung des Klägers, der zufolge ihm eine wesentlich längere wöchentliche Ruhezeit zusteht als nach Artikel 5 Absatz 1 der Arbeitszeitrichtlinie, auch das Recht auf eine tägliche Ruhezeit am Tag vor dieser wöchentlichen Ruhezeit vorsehen sollte.

Keine Anhörung.

Der Generalanwalt am 13. Oktober 2022: Nach Ansicht des Generalanwalts Pitruzzella entbindet eine nationale Rechtsvorschrift, die günstigere wöchentliche Ruhezeiten als die Arbeitszeitrichtlinie vorsieht, den Arbeitgeber nicht von seiner Pflicht, eine tägliche Ruhezeit zu gewähren. Die tägliche Ruhezeit ist ein eigenständiges Recht, das nicht durch den Begriff der wöchentlichen Ruhezeit abgedeckt ist.

Der Gerichtshof am 2. März 2023: Tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sind zwei eigenständige Rechte, mit denen unterschiedliche Ziele verfolgt werden. Die Richtlinie legt eine wöchentliche Mindestruhezeit fest und weist ausdrücklich darauf hin, dass dieser Zeitraum die tägliche Ruhezeit ergänzt. Daraus folgt, dass die tägliche Ruhezeit nicht Teil der wöchentlichen Ruhezeit ist, sondern zusätzlich gewährt wird. Sieht das nationale Recht in Bezug auf die wöchentliche Mindestruhezeit günstigere Bestimmungen als die Arbeitszeitrichtlinie vor, hat der Arbeitnehmer trotzdem Anspruch auf andere durch die Richtlinie verliehene Rechte, vor allem auf eine tägliche Ruhezeit. Daher muss die tägliche Ruhezeit gewährt werden, egal wie lange die nach nationalem Recht gewährte wöchentliche Ruhezeit ist. Folgen die tägliche und die wöchentliche Ruhezeit unmittelbar aufeinander, darf die wöchentliche Ruhezeit erst dann beginnen, wenn der Arbeitnehmer seine tägliche Ruhezeit in Anspruch genommen hat.

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