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von Theo Vermeire, Leiter der Abteilung Nanotechnologie, Gesundheit am Arbeitsplatz und Transport, Zentrum für die Sicherheit von Stoffen und Produkten, Institut für öffentliche Gesundheit und Umweltschutz der Niederlande (RIVM)

von Theo Vermeire, Leiter der Abteilung Nanotechnologie, Gesundheit am Arbeitsplatz und Transport,  Zentrum für die Sicherheit von Stoffen und Produkten, Institut für öffentliche Gesundheit und Umweltschutz der Niederlande (RIVM)

Stellungnahmen der wissenschaftlichen Ausschüsse SCENIHR, SCHER und SCCS zur synthetischen Biologie

Aus der synthetischen Biologie (SynBio) sind bereits wichtige, marktfähige Produkte entstanden, zum Beispiel aus Hefe synthetisiertes Artemisinin und biologisch abbaubare Kunststoffe aus Zucker. Die Anwendungsgebiete der synthetischen Biologie sind vielfältig: Medizin, Materialien, Chemie, Nahrungs- und Nahrungsergänzungsmittel, Energie, Nachhaltigkeit, Abfallbehandlung und Sicherheit. Doch wie bei zahlreichen anderen neuen und aufkommenden Technologien gibt es auch Gegenstimmen, die zu heftigen Diskussionen über das Potenzial und Risiken der SynBio für die Gesellschaft führten.

Die 12. Konferenz der Vertragsparteien des UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt fand vom 6. bis 17. Oktober 2014 in Pyeongchang, Republik Korea, statt. In einer Sondersitzung zum Thema synthetische Biologie wurden die Parteien aufgefordert, „vorsichtig zu sein, (...) wenn das Risiko eines bedeutenden Rückgangs oder die Zerstörung der biologischen Vielfalt durch Organismen, Komponenten und Produkte der synthetischen Biologie auftreten könnte.“ Ferner wurden die Vertragsparteien auf der Konferenz aufgefordert, durch SynBio erzeugte Organismen erst nach einer gründlichen Risikobewertung für Feldversuche zuzulassen. Diese Empfehlung war ein wichtiges Ziel für die EU, zumal sie ein gutes Gleichgewicht zwischen dem Potenzial der neuen Technologie und eventuellen Risiken gewährleistet. Die EU vertrat eine gemäßigte Position und lieferte wichtige wissenschaftliche Beiträge zur Entwicklung von Definitionen in Form einer gemeinsamen vorläufigen Stellungnahme ihrer wissenschaftlichen Ausschüsse SCENIHR, SCHER und SCCS.

Diese von den Ausschüssen am 26. September 2014 verabschiedete erste Stellungnahme beantwortete Fragen der Europäischen Kommission hinsichtlich Tragweite und Definition der synthetischen Biologie. Ende Dezember 2014 gaben die wissenschaftlichen Ausschüsse der Europäischen Kommission einen Entwurf für eine zweite Stellungnahme dazu ab, ob die derzeitigen Methoden zur Risikobewertung für die synthetische Biologie geeignet sind. Für Anfang 2015 wird eine dritte Stellungnahme zu Forschungsschwerpunkten für die Risikobewertung erwartet. Diese drei Stellungnahmen wurden von einer interdisziplinären Arbeitsgruppe von 20 Fachleuten aus Europa und den USA verfasst und könnten merklich zur Entwicklung einer gemeinsamen europäischen oder sogar weltweiten Strategie in der synthetischen Biologie beitragen. Zwar sind die Sicherheitsfragen in diesem Forschungsgebiet besonders heikel, doch geht es in diesem Zusammenhang ausschließlich um Sicherheitsaspekte, sodass keine der drei Stellungnahmen auf die Gefahrenabwehr eingeht.

Die erste Stellungnahme liefert mit einem Überblick über die wichtigsten wissenschaftlichen Entwicklungen, Konzepte, Hilfsmittel und Forschungsbereiche der synthetischen Biologie die Grundlage für die beiden anderen. Sie enthält überdies eine Zusammenfassung der einschlägigen regulatorischen Aspekte in der Europäischen Union oder in anderen Teilen der Welt wie den USA, Südamerika oder China, oder den Vereinten Nationen. Sie weist darauf hin, dass synthetische Biologie laut den europäischen Richtlinien 2001/18/EG und 2009/41/EG zu den genetischen Veränderungen gehört, was sich auch in absehbarer Zukunft nicht ändern wird. In der Definition heißt es: „Synthetische Biologie ist die Anwendung von Wissenschaft, Technologie und Ingenieurtechnik, um Konstruktion, Herstellung und/oder Änderung genetischen Materials in lebenden Organismen zu vereinfachen und zu beschleunigen.“ Die Stellungnahme schlägt eine „operationelle“ Definition vor, die auf dem aktuellen Kenntnis und Wissensstand in der synthetischen Biologie beruht. Es ist anerkanntermaßen schwierig, die Beziehung zwischen der Änderung genetischen Materials und der synthetischen Biologie auf der Basis quantifizierbarer und mit aktuellen Möglichkeiten messbarer Ein- und Ausschlusskriterien zu bestimmen. Deswegen wurde zusätzlich zu der Definition eine Liste spezifischer Kriterien in Betracht gezogen, sodass der Begriff „synthetische Biologie“ nunmehr jeden Organismus, jedes System, Material, Produkt oder jede Anwendung abdeckt, die aus der Einführung, Zusammenstellung oder Änderung des genetischen Materials eines lebenden Organismus resultiert.

Diese Definition hat den Vorteil, dass sie nicht den relevanten und umfassenden Korpus von Leitlinien für Risikobewertung und Sicherheit ausschließt, der in den letzten 40 Jahren für genmanipulierte Organismen entwickelt wurde.  Überdies ermöglicht die Definition die Anpassung an die schnellen Entwicklungen in den GMO-Technologien und unterstreicht die Notwendigkeit laufender Aktualisierungen von Risikobewertungsmethoden, was in Stellungnahme II genauer angesprochen wird. Doch leider schließt die Definition zwei Forschungsbereiche aus, die in der Regel in Verbindung mit synthetischer Biologie genannt werden, und zwar Bionanowissenschaft (nicht lebende Nanomaterialien, die aus Bestandteilen lebender Organismen hergestellt wurden) und Protozellenforschung (Versuche, lebende Organismen aus nicht lebenden Materialien zu synthetisieren), da mit ihnen noch keine lebenden Systeme erzeugt werden konnten. Nichtsdestoweniger könnten Bionanowissenschaft und Protozellenforschung eines Tages lebende Organismen hervorbringen und werden aus diesem Grund in der zweiten Stellungnahme zur Methodik der Risikobewertung berücksichtigt.

Bei dieser zweiten Stellungnahme geht es um die Methodik der Risikobewertung für die relativ neuen Forschungsbereiche „Bibliotheken für genetische Bausteine“, Designer-Chassis-Zellen, DNS-Synthese, Genom-Editing und Xenobiologie (Konstruktionen mit unüblichen Alternativen zu DNS und RNS). Kernthema sind die Auswirkungen wahrscheinlicher Entwicklungen in der synthetischen Biologie auf Menschen, Tiere und die Umwelt wie auch die Frage, ob die Bewertungsmethoden der EU für Gentechnik auch auf die synthetische Biologie angewendet werden können. Die wissenschaftlichen Ausschüsse wurden außerdem beauftragt, Vorschläge für die überarbeiteten Risikobewertungsmethoden und die Risikominderungsverfahren vorzulegen, so zum Beispiel hinsichtlich der Sicherheitsvorkehrungen und -einrichtungen für einen Zeitraum von bis zu 10 Jahren ab heute.

Ich möchte schlussfolgernd feststellen, dass der wirtschaftliche und der Innovationsdruck hoch sind, doch auch die Risiken für Gesundheit und Umwelt müssen in Betracht gezogen werden. Die drei Stellungnahmen der wissenschaftlichen Ausschüsse werden zu einer verantwortungsbewussten Forschung, Entwicklung und Innovation im Fachgebiet synthetische Biologie beitragen.

Steife Gelenke und Knochen, jede Bewegung tut weh – es gibt heute moderne Lösungen für einige Probleme des Älterwerdens. Metall-auf-Metall-Gelenkprothesen, eine besondere Kategorie von künstlichen Hüften für Total-Hüftarthroplastik und für Hüft-Arthroplastik zum Oberflächenersatz können zahlreiche Hüftprobleme lösen – doch was sind die Risiken?

Als Antwort auf Bedenken zu Metall-auf-Metall-Implantaten beauftragte die Europäische Kommission den wissenschaftlichen Ausschuss „Neu auftretende und neu identifizierte Gesundheitsrisiken“ mit der Erarbeitung einer Stellungnahme zur Sicherheit von Metall-auf-Metall-Gelenkprothesen mit Schwerpunkt Hüftimplantate.

In seiner im September veröffentlichten endgültigen Stellungnahme schlussfolgerte der wissenschaftliche Ausschuss, dass alle Arten von Metall-auf-Metall-Hüftarthroplastik, also chirurgische Eingriffe, die die Funktion eines Gelenks wiederherstellen, Metalle absondern. Wenn diese in Körperflüssigkeiten und Gewebe gelangen, können sie zu lokalen und/oder systemischen Gesundheitsschäden führen. Implantate mit großer Oberfläche stellten laut den Untersuchungen die größte Gefahr dar.

Aufgrund der potenziellen Gesundheitsgefahren von Metall-auf-Metall-Hüftimplantaten sollte eine Entscheidung über diesen Eingriff auf individueller Basis unter Abwägung von Vor- und Nachteilen für jeden Patienten erfolgen. Dabei sollten Faktoren wie Alter, Geschlecht, Größe, körperliche Fitness und Lebensstil berücksichtigt werden. Einige Hochrisikopatienten, z. B. zierliche oder schwangere Frauen, sollten nicht für Metall-auf-Metall-Hüftarthroplasie in Betracht gezogen werden. Für andere Patienten gilt, dass die Operation zur Risikominderung lediglich von sehr gut qualifizierten Chirurgen ausgeführt werden sollte.

Der Ausschuss „Neu auftretende und neu identifizierte Gesundheitsrisiken“ befürwortet die in der Erklärung zum Europäischen Konsens festgelegte Strategie, in der eine systematische Nachsorge unter anderem mit klinischen und Röntgenuntersuchungen für alle Patienten mit Metall-auf-Metall-Prothesen empfohlen wird.

Vollständiger Wortlaut der Stellungnahme:

http://ec.europa.eu/health/scientific_committees/emerging/docs/scenihr_o_042.pdfpdf(2 MB)

In Hinblick auf den zu erwartenden Anstieg der Anwendung von Nanotechnologien in medizinischen Geräten, wurde der wissenschaftliche Ausschuss „Neu auftretende und neu identifizierte Gesundheitsrisiken“ beauftragt, Leitlinien für die Risikobewertung von medizinischen Geräten und Material mit Nanopartikeln zu formulieren.

Bei Nanomaterial handelt es sich in der Regel um Partikel zwischen 1 und 1000 Nanometer Größe in mindestens einer Dimension, doch meistens werden lediglich Teilchen von 1 bis 100 nm oder kleiner als solche bezeichnet.  

Der wissenschaftliche Ausschuss kam zu dem Schluss, dass die mit dem Einsatz von Nanomaterial in der Medizintechnik verbundenen Risiken zumeist darauf zurückzuführen sind, dass einzelne Partikel aus dem Gerät in den Körper freigesetzt werden können oder dass der Organismus ihnen zu lange ausgesetzt wird. Das potenzielle Austreten einzelner Teilchen hängt davon ab, ob das Nanomaterial als freies Material, auf Oberflächen aufgebracht oder in eine Matrix integriert verwendet wird.

Zusätzlich zum Austreten von Teilchen und den damit verbundenen Risiken sollten auch mögliche Auswirkungen an dem Körperteil untersucht werden, der mit dem medizinischen Gerät behandelt wird. Ein wichtiger Aspekt ist, dass bei Abnutzung eines medizinischen Geräts auch dann Materialbestandteile in Nanodimensionen abfallen können, wenn das Gerät ursprünglich keine Nanoteilchen enthält.

Da immer mehr über die Eigenschaften von Nanomaterialien bekannt wird, könnte es in Zukunft möglich werden, die Art, Ausbreitung, Gewebetiefe und ein eventuelles Verbleiben der Partikel zu prognostizieren. Zurzeit ist dies jedenfalls noch unwahrscheinlich.

Leitlinien:

http://ec.europa.eu/health/scientific_committees/emerging/docs/scenihr_o_045.pdfpdf(2 MB)