Interview mit Philipp Sandner

Datum: 30/09/2022
Prof. Dr. Philipp Sandner, Leiter des Frankfurt School Blockchain Center, verrät, welche Entwicklung er bei Krypto-Assets für die Zukunft erwartet, welche Herausforderungen die Blockchain-Nutzung im Finanzwesen für die Regulierung und Aufsicht mit sich bringt und was nötig ist, damit der digitale Euro ein Erfolg wird.
Welche Art von Innovation bringt die Blockchain für Finanzdienstleistungen?
Die Blockchain-Technologie steht für einen „Ledger“, also ein Register oder ein Geschäftsbuch, und das ist ideal, um Werte zu repräsentieren. Das kann der Euro sein oder der Dollar, Aktien, Schuldtitel oder sogar Grundbuchauszüge. Deshalb ist die Blockchain als Technologie für Finanzmärkte oder Finanzinstrumente einfach perfekt – ganz gleich, ob es dabei um Währungen, Wertpapiere, Krypto-Assets oder Ähnliches geht. Sie ist eine Spitzentechnologie für die digitale Darstellung von Werten. Und das ist auch der Grund, warum diese finanziellen „Anwendungsfälle“ (die maßgeblich dafür sind, welche grundlegenden funktionalen Aufgaben die Nutzer bei der Anwendung durchführen) so stark zugelegt haben, während sich die anderen Anwendungsformen der Blockchain-Technologie etwas langsamer entwickeln.
Sie sprachen von Krypto-Assets – ist das zurzeit die wichtigste Nutzung? Und wie wird sich das in Zukunft entwickeln?
Krypto-Assets sind ein weites Feld, und ich möchte hier vor allem drei Innovationen nennen. Erstens haben wir eine dezentrale Infrastruktur ohne „Zentralmacht“ – bestes Beispiel dafür ist Bitcoin. Eine zweite große Innovation sind „Smart Contracts“, intelligente Verträge – sie sind die Bausteine von Ethereum und ähnlichen Plattformen. Mit Smart Contracts kann man Geldflüsse steuern und programmieren. Und als Letztes möchte ich noch die Tokenisierung erwähnen. Hier haben Sie Smart-Contract-Plattformen wie Ethereum als Basis und darauf dann Token, die alles Mögliche repräsentieren können – also beispielsweise den Euro auf Ethereum, den US-Dollar auf Ethereum oder auch als zweite Schicht aufgesattelte Krypto-Assets, Wertpapiere, Aktien, Schuldtitel, vielleicht sogar Kfz-Eigentum ... Sie haben also Smart-Contract-Plattformen wie Ethereum und viele andere als Basisplattform, mit den Funktionen von Smart Contracts für Werteflüsse und die Tokenisierung, um andere Vermögenswerte auf Ethereum repräsentieren zu können. Das sind die drei wichtigsten Innovationen. Und ja, sie beruhen auf Krypto-Assets, aber wie ich schon sagte: Sie können auch den Dollar, den Schweizer Franken oder den Euro auf diese Krypto-Assets aufsetzen. Daran sehen wir, dass es zwischen der bestehenden Welt mit Vermögenswerten und Geld auf der einen und Krypto-Assets auf der anderen Seite durchaus Berührungspunkte gibt: Beispielsweise indem man den US-Dollar auf Ethereum „aufschraubt“, wobei Ethereum als „Transportplattform“ dient.
Ethereum erwähnen Sie häufig – obwohl Bitcoin allgemein bekannter sein dürfte. Worin unterscheiden sich die beiden, und warum legen Sie den Fokus eher auf Ethereum?
Ethereum ist als Plattform weitaus vielseitiger. Bitcoin ist der größte, sozusagen die „Nummer eins“ unter den Krypto-Assets und erhält in den Medien sehr viel Aufmerksamkeit. Aber aus der Innovationsperspektive betrachtet bietet das Ethereum-Ökosystem sehr viel mehr. Und das gilt auch in Sachen Manpower: Im Ethereum-Ökosystem arbeiten täglich mehr als 100 000 Köpfe an der IT-Entwicklung. Das haben Sie bei Bitcoin nicht. Trotzdem ist Bitcoin die größte Plattform, aber schlichtweg mit einem anderen Anwendungsfall.
Sie sagten, dass die Blockchain-Technologie in der Finanzbranche künftig wohl noch viel stärker genutzt werden dürfte und dass Krypto-Assets im Finanzsektor momentan zu den wichtigsten Anwendungen der Blockchain gehören. Welche Lehren ziehen Sie aus den aktuellen Turbulenzen an den globalen Kryptomärkten für die Regulierung?
Nun, wir sehen jetzt, dass Regulierung sinnvoll ist, denn sie schafft Rechtssicherheit und schützt die Kunden. Was fehlt, ist eine internationale Regulierung, denn wir haben zum Beispiel Geschäftsmodelle aus Südkorea oder anderswoher, die sich dann hier in Europa auf das Kundenvertrauen oder den Kundenschutz auswirken. Interessant ist, dass die Leute inzwischen gelernt haben, was ein dezentrales Netzwerk ist. Viele Netzwerke werden als dezentral vermarktet, aber wenn man genau hinschaut, sieht man, dass Bitcoin das dezentralste Netzwerk ist und andere, wie Solana, erheblich zentraler sind. Langsam können alle zwischen den angeblich dezentralen und den wirklich dezentralen Netzwerken unterscheiden. Ich glaube, dass die Jüngeren, die Geld investiert haben, genau wussten, was sie taten, und die Risiken bewusst in Kauf genommen haben. Bei den Älteren, die sich von der Werbung haben locken lassen und Geld verloren haben, mag das anders gewesen sein. Und das hängt auch mit meinem letzten Punkt zusammen, nämlich der Tatsache, dass die Krypto-Märkte immer noch sehr wenig integriert und kaum mit den Finanzmärkten verflochten sind. Und noch etwas ist interessant: Wir hören jetzt, dass „Kleinanleger“ investieren. Aber wer sind diese Kleinanleger? Wer investiert da? In aller Regel – sagen wir zu 90 % – sind es Männer, Technikaffine und Jüngere, meist jünger als 45. Das heißt, Ältere und Frauen hat es insgesamt nicht so sehr getroffen.
Welche Herausforderungen stellen sich bei der Regulierung und Beaufsichtigung der Blockchain-Nutzung im Finanzsektor?
Zunächst einmal muss man sich im Klaren sein, was genau reguliert werden soll. Vor vier/fünf Jahren herrschte allgemein die Auffassung, man müsse die Technologie als solche regulieren. Doch wie gesagt, die Technologie ist dezentral, d. h. man kann die Netzwerkverarbeitung selbst nicht regulieren. Regulieren kann man nur die Interaktionen zwischen den Beteiligten – z. B. Privatpersonen oder Unternehmen – auf der einen und dem Netzwerk auf der anderen Seite. Und das mussten wir alle in den letzten Jahren erst einmal lernen. Nach diesem Ansatz funktioniert auch die MiCA. Solche „Schnittstellen“ sind sozusagen auch Finanzintermediäre. Sie nutzen Blockchain-Systeme, um Vermögenswerte zu begeben oder mit Vermögenswerten zu handeln – und wo immer jemand mit einem Blockchain-Netzwerk interagiert, muss der Regulator sicherstellen, dass keine Regeln verletzt werden und keine Geldwäsche oder Finanzkriminalität stattfindet ... Reguliert wird also nicht das Bitcoin-Netzwerk an sich, sondern Bitcoin oder Ethereum werden als Netzwerke akzeptiert, und reguliert werden dann ihre Interaktionen mit Personen.
Denken Sie also, dass der eigentliche Treiber für die Blockchain-Nutzung im Finanzsektor mit dieser Vision der Gesellschaft zusammenhängt – also der Idee, die Macht an die Menschen zurückzugeben und nicht den Institutionen zu überlassen, die das Finanzwesen üblicherweise betreiben?
Das ist eine sehr interessante Frage! Aber zunächst einmal müssen wir definieren, über welche Gesellschaft wir reden. Meinen wir zum Beispiel eine europäische oder die US-amerikanische Gesellschaft, wo der Wunsch nach Freiheit den Menschen schon in die Wiege gelegt wird? Oder sprechen wir eher von einer nicht so offenen Gesellschaft? In Europa und den USA steht der Open-Source-Ansatz voll und ganz im Einklang mit der allgemeinen Krypto-Asset-Mentalität, weil man mit dem offenen Ledger ganz genau sehen kann, was im Netzwerk vor sich geht. Wenn man das reguliert, entspricht die zugrunde liegende Technologie dem Freiheitsstreben der Menschen. Krypto-Assets, der Open-Source-Ansatz und Smart-Contract-Plattformen wie Ethereum passen also perfekt zu dieser Freiheitsmentalität. Die Regulierung muss aber an der richtigen Stelle ansetzten, dort, wo Menschen mit den Netzwerken interagieren. Und genau so wurden die MiCA-Regeln gestaltet. Deshalb glaube ich, das passt alles gut zusammen, und die MiCA-Regulierung wird dieser Beziehung gut tun.
Was halten Sie von digitalen Zentralbankwährungen (CBDC) wie dem digitalen Euro? Was ist aus Ihrer Sicht nötig, damit er ein Erfolg wird?
Zunächst einmal müssen wir definieren, was der digitale Euro ist. Es gibt zwei Aspekte: Was die Zentralbanken machen – also den CBDC-Aspekt – und dann privates Geld, zum Beispiel Stablecoins. Warum ist das wichtig? Weil ich bei Stablecoins relativ optimistisch bin. Wir sehen schon heute, dass das beim US-Dollar funktioniert. Und wir sehen, dass Werte sekundenschnell von einem Winkel der Welt in einen anderen übertragen werden können. Auf der anderen Seite haben wir die digitalen Zentralbankwährungen, und da bin ich nicht ganz so optimistisch. Warum? Weil die Europäische Zentralbank (EZB) und andere Zentralbanken sich diesem Thema relativ langsam annehmen und auch nicht anerkennen, dass Krypto-Netzwerke wie Ethereum ihre Versprechen mit Blick auf weltweite Wertübertragungen zum Teil schon jetzt erfüllen. Hinzu kommt, dass die Gesellschaft gewisse Erwartungen an die Zentralbanken hat, beispielsweise was den Schutz der Privatsphäre angeht. Die Zentralbanken werden dem bis zu einem gewissen Grade aber nicht ganz gerecht.
Natürlich geht es hier auch um die Frage, ob Geld öffentlich oder privat sein sollte. Wenn diese Innovation im privaten Bereich stattfindet, könnte es Ihrer Meinung nach sein, dass private Stablecoins den Wert des öffentlichen Geldes mit der Zeit aushöhlen?
Aus der Technologieperspektive heraus wird das nicht passieren. Stablecoins werden bleiben. Aber der grundlegende Wesenszug von Smart-Contract-Plattformen wie Ethereum und den darüber laufenden Stablecoins ist „Open Source“ – das heißt, die Menschen können sichergehen, dass alles, was in diesen Netzwerken entwickelt und programmiert wird, so ist, wie es sein sollte. Ehrlich gesagt, denke ich, dass die Zentralbanken hier im Nachteil sind, denn ich glaube nicht, dass sie IT quelloffen entwickeln. Es besteht also immer ein Risiko, dass den Zentralbanken das Vertrauen entzogen wird. Und vor allem: Auch wenn Stablecoins von privaten Unternehmen ausgegeben werden, haben wir es doch immer noch mit „dem Euro“ zu tun, denn diese Unternehmen müssen sich an die Vorschriften halten. Es ist ganz ähnlich wie bei Zahlungsabwicklern wie Paypal, Revolut oder N26: Ja, es ist „der Euro“, aber die Ausgabe und Bereitstellung erfolgt durch private Unternehmen.