EU-Sanktionen

Datum: 17/06/2022
Bislang hat die EU wegen des unprovozierten Angriffs auf die Ukraine sechs Sanktionspakete gegen Russland und Belarus beschlossen. Sie richten sich gegen den russischen Finanz-, Energie- und Verkehrssektor, frieren die Vermögen bestimmter Privatpersonen ein, verbieten eine Reihe von Transaktionen mit der Zentralbank von Russland, schließen wichtige russische Banken aus dem SWIFT-System aus und blockieren das Gesamtvermögen von vier russischen Banken. Der EU-Luftraum wurde für russische Flugzeuge gesperrt, russische Medienpublikationen wurden verboten, und es wurde ein Exportverbot für Güter und Technologien der Seeschifffahrt nach Russland oder zur Verwendung auf russischen Schiffen verhängt.
Auswirkungen auf Russland
Die EU-Zwangsmaßnahmen haben die Wirtschaft und die Finanzmärkte Russlands schwer getroffen, auch wenn die Zentralbank von Russland und andere Behörden des Landes die Auswirkungen zeitweilig abschwächen konnten. Die jüngste Stärkung des Rubels ist grundsätzlich nicht tragfähig. Der Rubel ist keine konvertierbare Währung mehr; daher ist sein Wechselkurs ein künstlicher Indikator, der wenig über die Wirtschaft aussagt. Die scheinbare Stabilisierung täuscht und spiegelt den enormen Schlag gegen die Realwirtschaft durch die Sanktionen nicht wider. Über kurz oder lang wird der Wechselkurs den wahren Zustand der russischen Wirtschaft abbilden.
Eine ganze Reihe anderer Indikatoren deutet darauf hin, dass die EU-Sanktionen sehr starke Wirkung zeigen. Beispielsweise die steigenden Lebenskosten — die Verbraucherpreise sind in Russland im März gegenüber dem Vorjahresmonat um 16,7 % angestiegen. Der gegenwärtige Leitzins der Zentralbank von Russland ist mit dem Wirtschaftswachstum nicht vereinbar, und es wird für 2022 allgemein mit einer zweistelligen Rezession gerechnet. Die Zentralbank von Russland erwartet beim Leistungsbilanzüberschuss einen starken Einbruch. Russland werden mit anderen Worten künftig weniger Stabilisierungsinstrumente zur Verfügung stehen.
Mittel- und langfristig werden die von der russischen Regierung ergriffenen Gegenmaßnahmen die Auswirkungen der Sanktionen nicht abfedern können. Die russische Wirtschaft wird erheblich schrumpfen. Es wird aber eine Weile dauern, bis die Sanktionen gegen die die russische Wirtschaft und den russischen Finanzsektor auch wirklich greifen.
Auswirkungen auf die EU
Es ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt schwierig, die Auswirkungen der Sanktionen auf die EU-Wirtschaft zu quantifizieren; sie werden jedoch mit Sicherheit beträchtlich sein. Das äußert sich in Konjunkturindikatoren wie Verbrauchervertrauen oder Rohstoffpreise.
Befragungen von Unternehmen und Verbrauchern zeigen, dass das Vertrauen der Konsumenten nach dem Beginn des Krieges durch Russland stark abgenommen hat, und dass das Vertrauen der Geschäftswelt in der EU ebenfalls zurückgegangen ist. Der Schock traf die Wirtschaft in dem Moment, als die Eckdaten gut aussahen und die Rücknahme von Corona-Maßnahmen die wirtschaftlichen Aussichten aufgehellt hatte.
Unsere Finanzmärkte haben darauf reagiert. Bedingt durch die allgemeine Unsicherheit und indirekte Kriegseinwirkungen sind die Aktienkurse gefallen — und die Volatilität hat zugenommen. Die Anleihenrenditen sind gestiegen, aber die Margen entwickeln sich zurückhaltend, was auf eine begrenzte Fragmentierung schließen lässt. Derweil haben sich die Aktienkurse vom anfänglichen Schock erholt.
Bislang funktioniert der Markt noch. Die Geld- oder Wertpapiermärkte sind nicht übermäßig unter Druck geraten, und wir hatten auch keine Liquiditätsengpässe im Bankensystem.
Ausblick
Der Blick in die Zukunft zeigt uns trotzdem einige potenzielle Risiken und indirekte Auswirkungen, die das Finanzsystem der EU treffen und verstärkt Anlass zur Sorge bieten könnten. Vor allem besteht die Gefahr, dass die EU-Wirtschaft langsamer wächst und der Inflationsdruck steigt, in Verbindung mit dem Verlust des Verbraucher- und Unternehmensvertrauens und einer zunehmenden Risikoscheu. Das Umfeld für den Finanzsektor könnte sich dadurch schwierig gestalten. Die Aussicht auf eine schwächelnde Wirtschaft würde sich negativ auf die Erträge und die Qualität der Aktiva der Banken auswirken und ihre Gewinnschöpfung unter Druck setzen.
Eine erhöhte Risikoscheu im Bankensektor könnte zu einer geringeren Kreditvergabe an die Realwirtschaft führen. Solche Zweitrundeneffekte könnten beträchtliche Auswirkungen insbesondere für Mitgliedstaaten mit starken wirtschaftlichen oder finanziellen Verbindungen zu Russland oder für jene haben, die am stärksten von Preissteigerungen bei Energieträgern und anderen Rohstoffen betroffen sind.
Wir dürfen nicht vergessen, dass unsere Kreditinstitute im letzten Jahrzehnt sehr viel belastbarer geworden sind, nicht zuletzt aufgrund des von der EU entwickelten und umgesetzten starken Regulierungs- und Aufsichtsrahmens. Die Bankenbilanzen sind alles in allem weiterhin gesund, dank robuster Eigenkapitalpositionen und der geringeren Zahl notleidender Kredite. Das sollte den Finanzsektor insgesamt gut durch die Krise bringen.
Die EU-Sanktionen sollen Russland und Belarus die Fortsetzung des Angriffskrieges gegen die Ukraine finanziell erschweren. Schon in der kurzen Zeitspanne seit Verhängung der ersten Sanktionen hat sich gezeigt, dass sie wirken. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir Geduld brauchen, bis sie voll greifen.