Going global: Die EU-Agenda für Nachhaltigkeit im Finanzwesen

Datum: 28/09/2018
Martin Špolc, Leiter des Referats „Kapitalmarktunion“ in der Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion der Kommission, berichtet über seinen kürzlichen Besuch in den Vereinigten Staaten, bei dem es um die Strategie der Kommission für Nachhaltigkeit im Finanzwesen ging.
Ein nachhaltiges Finanzwesen bewegt die Gemüter - in Brüssel und weltweit!
Nur zwei Wochen vor dem „One Planet Summit“ am 26. September, auf dem die Vizepräsidenten Valdis Dombrovskis und Maroš Ševčovič sowie Kommissar Neven Mimica die Kommission vertraten und gemeinsam mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und anderen EU-Staats- und Regierungschefs erneut die Führungsentschlossenheit Europas im Kampf gegen den Klimawandel bekräftigten, durfte ich an zwei für unsere Pläne für ein nachhaltigeres Finanzwesen außerordentlich wichtigen internationalen Veranstaltungen teilnehmen: dem Global Climate Action Summit und der jährlichen Konferenz PRI in Person über die Grundsätze für verantwortungsvolle Investitionen. Beide fanden in San Francisco statt.
Konkrete Maßnahmen und Bereitschaft zum Handeln
Der Global Climate Action Summit wurde vom kalifornischen Gouverneur Jerry Brown mit Unterstützung des Unternehmers, Philanthropen und ehemaligen Bürgermeisters von New York, Mike Bloomberg organisiert. Ziel war es, bereits eingeleitete Maßnahmen zu verstärken und Regierungsverantwortliche, Bürgermeister und Unternehmen aus der ganzen Welt zu weiteren Zusagen zur Bekämpfung des Klimawandels zu bewegen. Der Schwung hinter der „Koalition der Willigen“ – einem Zusammenschluss von US-Bundesstaaten und Städten, die sich für das Pariser Klimaabkommen engagieren und die Hälfte der Bevölkerung der USA, die Hälfte der US-Wirtschaft und mehr als ein Drittel der US-weiten Treibhausgasemissionen ausmachen – ist beachtlich. Dank ihrer Anstrengungen haben die USA bisher fast die Hälfte von Präsident Obamas Zusagen im Pariser Klimaabkommen eingehalten – trotz der Entscheidung von Präsident Trump, dass die USA sich aus diesem Abkommen zurückziehen. Dies ist beeindruckend. Die Kommission wurde auf dem Summit von Kommissar Miguel Arias Cañete vertreten, der Europas Entschlossenheit, die Ziele von Paris zu erreichen, bekräftigte.
Neben Entschlossenheit prägte den Summit auch die Warnung vor der dramatischen Realität in allen Teilen der Welt sowie die düstere Aussicht auf den Klimawandel. Er wird uns alle in der einen oder anderen Weise mehr und mehr beeinträchtigen. Alleine im vergangenen Jahr waren wetter- und klimabedingte Naturkatastrophen für Tausende von Todesfällen und wirtschaftliche Verluste in Höhe von über 270 Mrd. EUR verantwortlich.
Die Mobilisierung privater Finanzmittel kristallisiert sich als eines der neuen, wirksamen Instrumente zur Beschleunigung des Übergangs zu einer sozial inklusiven und umweltfreundlichen Wirtschaft heraus. Auf einer der Veranstaltungen präsentierten sieben junge Unternehmer Erfolgsgeschichten ihrer innovationsstarken Unternehmensgründungen zur Finanzierung von Investitionsprojekten im Klimabereich, zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit gegen den Klimawandel und zum Zugang zur Energieversorgung. Sie zeigten, dass Ehrgeiz, Entschlossenheit und Leistung vor Ort tatsächlich etwas bewirken können. Es waren inspirierende Beispiele, wie wirksam auch die zentralen Bausteine unserer Kapitalmarktunion im Zusammenwirken sein können: die Finanzierung von Start-up-Unternehmen, die Förderung von Risikokapital, die Innovation, Fin-Tech und Nachhaltigkeit. Es funktioniert. Auf dem Gipfel wurde vielerseits zudem die Beschleunigung der Emission von grünen Anleihen angekündigt. Das bemerkenswerteste Beispiel ist die Gründung der Global Green Bond Partnership. Sie unterstützt die Umweltanstrengungen von Kommunen und Regionen. Das Potenzial grüner Anleihen ist enorm und unterstreicht die Bedeutung der laufenden Arbeit der technischen Sachverständigengruppe der Kommission an der Entwicklung eines „Green Bond-Standards“, die im Juni 2019 abgeschlossen sein soll.
Werbung für die Politik der EU
Die jährliche PRI in Person-Veranstaltung ist die weltweit führende Konferenz zur Förderung nachhaltiger und verantwortungsvoller Investitionen. Auf ihr sind mehr als 1200 Investoren/Vermögensverwalter vertreten, die 68 Milliarden EUR (d.h. 80 Milliarden USD) verwalten, die Hälfte davon aus den USA. Ich wurde gebeten, im Plenum die Arbeit der Kommission vorzustellen und zusätzlich Vorträge auf sechs Nebenveranstaltungen zu nachhaltiger Finanzierung zu halten. Dies bot eine gute Gelegenheit, für die EU-Politik auf internationaler Ebene zu werben.
Neue Einsichten auch in den Reden zweier Vorkämpfer in der Bekämpfung des Klimawandels und für eine nachhaltige Entwicklung:
Der frühere US-Vizepräsident Al Gore betonte, dass der Klimawandel eine existenzielle Bedrohung darstelle und als globaler Notfall und als Moment „fataler Entscheidung“ zu betrachten sei. Er zitierte den deutschen Ökonomen Rüdiger Dornbusch: „Krisen kommen später als man sie erwartet, aber wenn sie kommen, kommen sie schneller als man sich vorstellen kann.“ Er rief alle Beteiligten – auch Investoren – zum Handeln auf und zwar umgehend. Al Gore ist der Ansicht, dass Vermögensverwalter und institutionelle Anleger, die Aspekte des ökologischen, sozialen und verantwortungsvollen Handelns (ESG) nicht berücksichtigen, gegen treuhänderische Pflichten verstoßen. Darüber hinaus pries er die Europäische Kommission als weltweite Vorreiterin für eine nachhaltige Finanzierung. Er würdigte besonders die Initiativen zur Integration der ESG-Faktoren, insbesondere die Gesetzesvorschläge zu Investorenpflichten und deren Offenlegung, die er „einen wirklichen Durchbruch“ nannte. Al Gore glaubt, dass die Nachhaltigkeitsrevolution das Potenzial hat, die Welt so zu verändern wie die industrielle Revolution es tat, allerdings mit der Geschwindigkeit der digitalen Revolution. Für ihn bietet dies die größten Investitionsmöglichkeiten aller Zeiten, vor allem in den kommenden Jahren.
Paul Polman, CEO von Unilever, umriss vier Prioritäten: 1) die Dekarbonisierung; 2) den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft; 3) eine bessere Ausrichtung der Finanzmärkte auf langfristige Strategien; und 4) mehr gesellschaftliche Inklusion und den Abbau der weltweiten wirtschaftlichen Ungleichheiten. Er rief sowohl Unternehmen als auch Investoren auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden: die nötigen Mittel seien vorhanden, nur der Wille fehle. Er sprach sich für die Abkehr von einem Kapitalismus aus, der sich nur auf die Maximierung der Kapitalrenditen konzentriert hin zu einem Kapitalismus, der stattdessen die Erträge aus Sozial- und Umweltkapital betone. Unternehmen, die die ESG-Ziele wirklich umsetzen, werden einen höheren Marktwert erhalten, sodass sich die Umsetzung auszahlt. Paul Polmann ist zudem der Ansicht, dass Unternehmen die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen als perfekten Fahrplan und große Geschäftschance sehen sollten. Außerdem appellierte er an Investoren, sich aktiv an Entscheidungen der Unternehmen zu beteiligen, in die sie investieren, und auf einem verantwortungsvollen und nachhaltigen Verhalten zu bestehen.
Einige Kernpunkte
Die dreitägige Konferenz umfasste großartige Diskussionsrunden mit erstklassigen Debatten. Hier die drei wichtigsten Punkte, die ich mir notierte:
- Weltweit erhöhen Anleger ihre Anstrengungen: Die Nachhaltigkeit scheint zunehmend Teil des Alltagsgeschäfts zu werden. Dennoch ist der Fortschritt noch immer zu langsam und die meisten Investoren gaben zu, noch mehr tun zu müssen. Es wurden eine Reihe von „Klassenbesten“ vorgestellt, Beispiele, die zeigten, dass die Erträge bei verantwortungsvollen Investitionen NICHT zurückgehen, vor allem nicht mittel- bis langfristig. Eine wachsende Zahl von Anlegern erkannte dies als Chance. Viele kritisierten allerdings, dass das Fehlen eines angemessenen gesetzlichen Rahmens sie bislang an einem mutigeren Vorgehen hindere.
- Investoren greifen ESG-Ziele zunehmend auf‚ und zwar offenbar in erster Linie um sich gegen Risiken abzusichern und auf Druck ihrer Kunden. Bessere Instrumente und eine zunehmende Verfügbarkeit von ESG-Daten und Ratings erleichtern es den einzelnen Anlegern, zu beurteilen, was „ökologische Nachhaltigkeit“ bedeutet. Die Gesamtqualität und die Vergleichbarkeit der Daten sind jedoch nach wie vor uneinheitlich. Viele Teilnehmer waren sich einig, dass die Anleger und Vermögensverwalter ihre eigene ESG-Analyse durchführen und verbessern müssen, was durch vermehrte und bessere Offenlegungspflichten für Unternehmen erleichtert werden könnte.
- Es gab einige hervorragende Diskussionen darüber, wie wichtig ein aktiveres Engagement der Anleger in ihren Unternehmen ist, und dies nicht nur hinsichtlich der Klima- und Umweltaspekte der Nachhaltigkeit. Mehrere Redner wiesen darauf hin, dass es auch wichtige Sozial- und Governanceaspekte gebe, die die Anleger bei ihren Investitionen berücksichtigen sollten. Auf diese Weise können Anleger eine wichtige Rolle bei der Verringerung der weltweiten Ungleichheiten spielen.
Insgesamt äußerten viele derjenigen, mit denen ich sprach, ein großes Interesse an der laufenden Arbeit der EU. Die weltweite Anlegergemeinschaft scheint die Breite und Ausführlichkeit der Themen zu schätzen, die der EU-Aktionsplan für ein nachhaltiges Finanzwesen abdeckt. Die EU übernimmt in diesem Bereich zunehmend die Führung. Die Dynamik von unten wird durch Unterstützung aus der Politik und Reformen in den politischen Rahmenbedingungen gestützt. Das ist einzigartig und bietet die Möglichkeit, die EU und ihre Kapitalmärkte zu einer globalen Drehscheibe für nachhaltige Investitionen zu machen und die langfristige volkswirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit der EU zu stärken. Nutzen wir gemeinsam diese Chance!