Social-Agenda-Issue-54-DE

ANDERE STIMMEN Der Europäische Rechtsakt zur Barrierefreiheit - ein Schritt vorwärts, aber da ist noch ein langer Weg Marie Denninghaus: Weitere Rechtsvorschriften und andere nichtlegislative Initiativen können auf dem Rechtsakt zur Barrierefreiheit aufbauen. © André Félix/European Disability Forum Der Rechtsakt zur Barrierefreiheit hat ein großes Potenzial mit sich gebracht, um Produkte und Dienstleistungen für alle Menschen in Europa zugänglich zu machen, darunter 80 Millionen Menschen mit Behinderungen und 150 Millionen ältere Menschen. Leider ist dieses Potenzial nicht zur Gänze ausgeschöpft worden, und der aus den Verhandlungen zwischen Kommission, Rat und Europäischem Parlament entstandene Kompromisstext konzentriert sich jetzt hauptsächlich auf digitale Produkte und Dienstleistungen. Das Europäische Behindertenforum (EDF) hat die Entwicklung dieses Legislativvorschlags aufmerksam verfolgt, denn die Verabschiedung eines starken Rechtsaktes zur Barrierefreiheit war eigentlich eines der Hauptziele seiner „ Freedom of Movement “-Kampagne gewesen. Das EDF wünschte sich, dass der Rechtsakt eine horizontale Rechtsvorschrift sein würde, die die Zugänglichkeit von Produkten und Dienstleistungen verbessert, die von Menschen mit Behinderungen in ihrem täglichen Leben genutzt werden: Haushaltsgeräte, Gesundheitsdienstleistungen, Transportdienste, Fernsehen usw. Wir haben auch gehofft, dass dadurch die Barrierefreiheitsanforderungen generell in der gesamten EU-Gesetzgebung harmonisiert werden würden. Zum Teil wurde das erreicht. Es gibt ein besseres Verständnis für die Barrierefreiheitsanforderungen, und einige Produkte und Dienstleistungen werden zugänglicher. Das EDF freut sich also, dass die Richtlinie nach vielen Jahren der Verhandlungen endlich angenommen wird und sich dadurch zumindest in einigen Bereichen der Status quo verbessert. Leider fehlen im Text jedoch einige wichtige Bestimmungen wie die Barrierefreiheit bei den Verkehrsmitteln, insbesondere im städtischen Nahverkehr und in den Gebäuden. Eine einzigartige Gelegenheit für die EU Der Europäische Rechtsakt zur Barrierefreiheit war für Europa eine einzigartige Gelegenheit. Er sollte als Mittel zur Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD) d ienen, das von der EU und ihren Mitgliedstaaten bereits ratifiziert wurde. Auch sollte er die Bezüge auf Barrierefreiheit in bestehenden Rechtsvorschriften wie in der Richtlinie über die öffentliche Auftragsvergabe und den Europäischen Struktur- und Investitionsfonds klären, in denen verbindliche Bestimmungen für die Beschaffung barrierefreier Produkte und Dienstleistungen enthalten sind, die jedoch keine speziellen Barrierefreiheitsanforderungen umfassen. Diese Ziele wurden zwar nicht vollständig erreicht, aber die Behindertenbewegung der Europäischen Union betrachtet es als wichtigen ersten Schritt. Es können weitere Rechtsvorschriften und andere nichtlegislative Initiativen auf dem Rechtsakt zur Barrierefreiheit aufbauen, damit beispielsweise auch das Gebäude der Bank und nicht nur der Geldautomat barrierefrei sind. Oder dass ein Rollstuhlfahrer nicht nur barrierefreie Ticketautomaten oder Zahlterminals nutzen kann, sondern dann auch die Straßenbahn oder der Nahverkehrsbus effektiv für ihn zugänglich sind. Das EDF und seine Mitglieder werden weiter daran arbeiten und Kampagnen initiieren, um die Barrierefreiheit in der EU nach dem Motto „Nichts über uns ohne uns!“ zu verbessern . Marie Denninghaus, Politikkoordinatorin, Europäisches Behindertenforum 2 6 / SOZ I A L AG E NDA / M Ä R Z 2 0 1 9

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