Social Agenda Issue 53-DE

ANDERE STIMMEN Es geht um digitale Revolution, aber auch um Klimawandel Philippe Pochet: „Unsere erste Aufgabe ist es, darüber nachzudenken, wie wir diese beiden Zukunftsszenarien miteinander in Einklang bringen können und welche Wechselwirkungen sie mit dem demographischen Wandel und der Globalisierung haben.“ © ETUI 2018 Es ist mittlerweile allerorten zu hören, dass uns infolge des sogenannten digitalen Wandels wohl große, grundlegende Veränderungen in der Arbeitswelt bevorstehen. Dieser Ansatz ist jedoch zu eng gefasst, da wir nicht nur mit einer, sondern mindestens mit zwei grundlegenden Veränderungen konfrontiert sind: zum einen mit der digitalen Revolution und zum anderen mit den Auswirkungen des Klimawandels. Allzu oft, ja fast ausschließlich, werden diese beiden Veränderungen losgelöst voneinander betrachtet. Unsere erste Aufgabe ist es daher, darüber nachzudenken, wie wir diese beiden Zukunftsszenarien miteinander in Einklang bringen können (https://www.etui.org/ Publications2/Foresight-briefs/Two-futures-and-how-to-reconcile- them) oder, wenn wir etwas ambitionierter sein möchten, welche Wechselwirkungen diese wiederum mit anderen großen Trends des demographischen Wandels und der Globalisierung haben, die sich ebenfalls abzeichnen. Zunächst ist daher zu diskutieren, wie diese beiden Veränderungen neben den damit einhergehenden gesellschaftlichen und ordnungspolitischen Herausforderungen ausreichend Berücksichtigung finden können. Der Ansatz von Carlota Perez in ihren Abhandlungen über technologische Revolutionen liefert uns einen nützlichen analytischen Rahmen. Sie erkennt in jeder der fünf großen Innovationswellen, die seit der industriellenRevolutionstattgefundenhaben,viererfolgreichePhasen: die Phase der Irruption (oder des „Hereinbrechens“), des Rausches (dem die Finanzkrise folgte), der Synergie und die Reifephase. Neue Regeln In diesem Rahmen betrachtet, ist die Digitalisierung der Wirtschaft eigentlich gar keine neue industrielle Revolution, sondern ein Synergieeffekt aus verschiedenen Innovationen der letzten 15 bis 20 Jahre. Doch damit diese Phase in eine neue Ära des Wohlstands übergehen kann, müssen die verschiedenen beteiligten Akteure neue Spielregeln akzeptieren. Übernehmen wir diesen (hier kurz zusammengefassten) Ansatz, dann wird klar, dass die gegenwärtige Herausforderung darin besteht, digitalePlattformenzuregulierenund indenjeweiligenSektorendieser „New Economy“ alle möglichen und notwendigen Schutzmaßnahmen (zu Verträgen, fairer Bezahlung und Sozialschutz) zu ergreifen. Tun wir dies nicht, werden die Konflikte, die wir schon jetzt auf solchen Plattformen wie Uber, AirBNB, Deliveroo usw. aufbrechen sehen, zunehmen, mit der Folge, dass wirtschaftliche Entwicklung und soziale Akzeptanz dieser Veränderungen verhindert werden. Vor diesem Hintergrund können wir die Europäische Säule als einen Versuch betrachten, für alle akzeptable neue Regeln zu finden (was natürlich auch die Anwendung alter Regeln beinhalten kann) und die zunehmend unscharfen Grenzen zwischen verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen und den jeweils damit verbundenen Rechten zu klären sowie der Frage nachzugehen, wie ein Arbeitgeber definiert ist und was seine Pflichten sind. Neuer Zyklus In dieser Phase der Synergie darf darüber hinaus auch das zweifache Ziel der Verringerung der von uns verursachten Umweltbelastungen und der radikalen Begrenzung der Treibhausgasemissionen nicht außer Acht gelassen werden. Aus all diesen Aspekten müssen wir Ziel und Marschrichtung für diesen neuen Innovationszyklus ableiten. Daher sind für diesen radikalen Wandel zwei Dinge erforderlich: Erstens muss dieser Übergang finanziert werden, und zwar sowohl im Sinne von Investitionen, die diesen Wandel ermöglichen, aber auch im Sinne eines Ausgleichs für diejenigen, die nachteilig davon betroffen sind. Dies sollte im nächsten mehrjährigen Gemeinschaftshaushalt, aber auch in den Haushalten der Mitgliedstaaten, Vorrang haben. Zweitens braucht es eine politische Führung, die darüber entscheidet, in welche Richtung es gehen soll. Aufgrund der Dringlichkeit der Klimaschutzfrage können wir nicht zulassen, dass Unentschlossenheit und Kehrtwenden an der Tagesordnung sind. Unser Handeln in den genannten Bereichen wird also über die Richtung und die – positiven oder negativen – Auswirkungen der großen Veränderungen entscheiden, die gerade stattfinden. Philippe Pochet, Generaldirektor, European Trade Union Institute 2 6 / SOZ I A L AG E NDA / NOV E MB E R 2 0 1 8

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