Social-Agenda-Issue-54-DE

SOZ I A L AG E NDA / J U LY 2 0 1 7 / 1 5 Das Wichtigste sind „Kompetenzen, Kompetenzen, Kompetenzen!“, sagt Marianne Thyssen, die Initiatorin der europäischen Agenda für Kompetenzen im Jahr 2016: Kompetenzen durch Bildung, Umschulung und Weiterbildung erwerben – das ganze Leben hindurch. Gleichzeitig warnt sie aber davor, dass sich die Bevölkerung nur dann für eine solche neue Bildungskultur entscheiden wird, wenn sie das Gefühl hat, dass ihre Ängste berücksichtigt werden, und wenn sie der Überzeugung ist, dass die EU und ihreMitgliedstaaten, die Regionen, die lokalen Behörden und die Sozialpartner angesichts der außergewöhnlich rasanten Veränderungen proaktiv zusammenarbeiten. Marianne Thyssen ist zuversichtlich, dass mit der im Jahr 2017 verabschiedeten und proklamierten Europäischen Säule sozialer Rechte auf allen Ebenen der Verwaltung – von der europäischen bis zur lokalen Ebene – der richtige Rahmen aus Grundsätzen und Werten für die Zusammenarbeit geschaffen wurde. Mit der Säule als Kompass sind die Entscheidungsträger nun in der Lage, das Sozial- und Wirtschaftsmodell der EU in einer Weise an die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts anzupassen, die die Werte bewahrt, für die die EU steht, und dadurch den Menschen Schutz bietet. Die EU sollte sich durch ein „soziales Triple-A“ auszeichnen, erklärte Jean-Claude Juncker zu Beginn seines Mandats als Präsident der Europäischen Kommission. Ist die EU nun fünf Jahre danach in dieser Hinsicht auf dem besten Weg? Wir sind weit gekommen, aber man sollte in der Politik nie zu glücklich sein. Ich kann positive Entwicklungen feiern und mir dennoch bewusst sein, dass es nie gut genug ist, weil sich die Dinge ständig ändern und man sich weiter anpassen muss. Seit 2017 lässt sich wieder ein Wachstum verzeichnen, nicht nur im Durchschnitt, sondern in jedem einzelnen EU-Mitgliedstaat. Über 240 Millionen Menschen haben eine Arbeit – ein Rekord, seit zu Beginn dieses Jahrhunderts mit der Erfassung monatlicher statistischer Informationen begonnen wurde. Die Arbeitslosigkeit ist imDurchschnitt bei der EU-Bevölkerung imerwerbsfähigen Alter auf 6,6 % gesunken, und bei den jungen Menschen auf 14-15 %: Es gibt fast 2,5 Millionen weniger arbeitslose junge Menschen und weniger „NEETs“ (junge Menschen, die weder eine Arbeit haben noch eine schulische oder berufliche Ausbildung absolvieren). Natürlich ist die Arbeitslosigkeit immer noch zu hoch, aber seit 2014 sind 12 Millionen Arbeitsplätze geschaffen worden. Und die Zahl der Menschen, die von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind, ist seit 2012 mit jedem Jahr zurückgegangen. Bis 2016 war dieser Prozentsatz fast auf das Niveau von 2008 zurückgefallen. Sie sind also doch mit diesen Ergebnissen zufrieden? Ja, aber in angemessenemRahmen. Nehmenwir die Beschäftigung her: Die Beschäftigungsquote war noch nie so hoch, aber wir müssen die Qualität vieler dieser Jobs in Betracht ziehen. Wenn wir die Einkommen der Haushalte näher betrachten, dann sehen wir, dass sie nicht ganz dem Anstieg des BIP (Bruttoinlandsprodukts) oder der Produktivität folgen. Wir können erst zufrieden sein, wenn wir sehen, dass alle vom Aufschwung profitieren. Das geschlechtsspezifische Lohngefälle ist noch nicht beseitigt, und wir wissen, dass ein geschlechtsspezifisches Lohngefälle von beispielsweise 15 % in der Zukunft zu einem wahrscheinlich doppelt so hohen Rentengefälle führt! Wir haben es noch nicht ganz aus der Finanz- und Wirtschaftskrise heraus geschafft, da wir uns immer noch mit ihren sozialen Folgen befassen müssen. Und gleichzeitig müssen wir auch unsere Bevölkerung und Institutionen auf das vorbereiten, was auf uns zukommt: Digitalisierung, die vierte industrielle Revolution, unsere alternde Gesellschaft, der Klimawandel und die damit verbundenen Herausforderungen, die immer schneller auf uns zukommen. Ist das Gleichgewicht zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik wiederhergestellt worden? Wirtschaftswachstum und sozialer Fortschritt gehen Hand in Hand: Wenn die Bevölkerung nicht von Wachstum profitiert, wird dieses Rekordzahl: 240 Millionen EU-Bürger haben nun eine Arbeit. Seit 2014 wurden 12 Millionen Arbeitsplätze geschaffen, darunter 2,5 Millionen für junge Menschen. © Belga Image SOZ I A L AG E NDA / M Ä R Z 9

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